Nr. 6

  / aventinus / Über uns / Mitteilungen / aventinus generalia

aventinus generalia Nr. 6 [04.01.2011] / forum Nr. 2/2010, S. 81-85

Generation Internet stürmt den Elfenbeinturm 

Publizieren in einer ver­änderten wissenschaftlichen Welt

Der Münchner Historiker, Internetpublizist und Geschäftsführende Herausgeber von aventinus Andreas C. Hofmann spricht mit der Zeitschrift der Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung

MZ: Andreas, Sie sind Geschäftsführender Herausgeber für das Onlineportal aventinus, einer studentischen Publikationsplattform, bei welcher Geschichtsstudierende aus dem deutschsprachigen Raum im Studium erarbeitete Forschungsergebnisse veröffentlichen. Was soll das bringen?

ACH: Wir geben Geschichtsstudierenden aus dem ganzen deutschsprachigen Raum die Möglichkeit, erste Forschungsergebnisse bereits während des Studiums zu veröffentlichen. Normalerweise bekommt man die Chance, zu publizie­ren erst sehr viel später. Wir legen hierbei durch unseren Redakti­onsworkflow Wert darauf, uns vom bloßen Publizieren von Hausarbeiten abzusetzen. 

MZ: Bei aventinus schreiben ja vor allem Geschichtsstudierende. Richten Sie sich aus­schließlich an Historiker? 

ACH: Ich würde sagen, dass sich aventinus an Studierende richtet, welche ein Thema mit histo­rischem Bezug bearbeiten. Unsere Ru­briken Bavarica und Varia haben einen gezielt interdisziplinären Zuschnitt. So findet sich zum Beispiel auch ein Artikel aus der Medizingeschichte über die Geschichte der Kran­kenversorgung vom 18 bis zum 20. Jahrhundert. Die beiden interdisziplinären Kategorien ergänzen die klassischen Rubriken zu Altertum, Mittelalter und Neuzeit. Ursprünglich erschien aventinus als periodisches Onlinemagazin mit ei­ner Ausgabe pro Semester. Zwischen September 2009 und Mai 2010 haben wir uns technisch und inhaltlich komplett neu aufgestellt und verstehen uns jetzt als Plattform mit thematisch gruppierten geschichtswissenschaftlichen Arti­keln.  

MZ: Wodurch zeichnet sich aventinus nach der technischen und inhaltlichen Erneuerung aus? 

ACH: Die technische Erneuerung besteht darin, dass wir nun über ein seit Jahren erprobtes Re­daktionssystem mit einem ansprechenden Layout verfügen. Durch unsere Kooperation mit dem bei der Bayerischen Staatsbibliothek betriebenen geschichtswissenschaftlichen Internetportal historicum.net konnten wir auf deren Know-How beim Elektronischen Pu­blizieren zurückgreifen. Aus inhaltlicher Sicht gibt es zwei Hauptunterschiede zwi­schen einem Onlinemagazin mit zwei Ausgaben pro Jahr und einer thematisch ­gruppierten Plattform: Zum einen sparen wir uns heute die Hek­tik in den Tagen vor Redaktionsschluss; vor allem aber erleichtert die neue Form den Umgang mit dem Portal. Die Nutzer können gezielt recherchieren und sich nach Schlagworten ori­entieren. Wenn ich mich beispielsweise für die römische Königszeit interes­siere, dann klick' ich in der Rubrik Altertum auf römische Königszeit.  

MZ: Sehen Sie sich mit aventinus als Teil einer größeren Bewegung von Studierenden, die ihre eigenen wissenschaftlichen Texte online veröffentlichen? 

ACH: Durch das Internet ist das sicher stark im Kommen. Bis jemand eigene Sachen bei einem Verlag publizieren kann, muss er mindestens promoviert sein. Das Internet bietet da ganz andere Möglich­keiten.  

MZ: Werden studentische Publikationsplattformen mit wissenschaftlichem Anspruch in Zu­kunft eine größere Rolle spielen?

ACH: Ich glaube, dass aventinus nur ein Rädchen im Getriebe größerer Veränderungen ist. Mei­ne Erfahrung ist, dass ein Studierender, der publiziert, anders schreibt. Das Schreib­verhalten ändert sich, wenn der Text zumal im Internet, wo ihn jeder lesen kann veröf­fentlicht wird.  

MZ: Die Texte werden besser? 

ACH: Ja, besser auf jeden Fall; aber auch anders in dem Sinn, dass je nach persönlicher Note manches übertrieben oder eben untertrieben wird. Die Art der Argumentation wird ver­schärft oder an manchen Stellen abgeschwächt – je nachdem was der Autor im Hin­terkopf hat. Wenn man in der Fachöffentlichkeit als jemand rüber kommen möchte, der pointiert auf den Tisch haut, schreibt man anders, als wenn man lieber als zurückhaltender sachlicher Wissenschaftler gilt.  

MZ: Der Text verändert sich also, wenn er für die Öffentlichkeit gedacht ist.  

ACH: Es kommt immer darauf an, für wen man schreibt. Schreibt man für den Dozen­ten – das sollte nicht der Fall sein, aber es spielt unterbewusst mit rein – kommt es darauf an, wie gut man ihn kennt. Wenn man beispielsweise weiß, dass der Dozent jemand ist, der auf knackige For­mulierungen nicht steht, dann ist man vorsich­tiger. Wenn der Text aber in der Öffentlich­keit steht, möchte man die knackige Formulie­rung dann vielleicht doch reinbringen. Man achtet bei Texten, die man publizieren will, auch mehr auf sprachliche Feinheiten.  

MZ: Wie meinen Sie das? 

ACH: Wenn man Hans-Ulrich Wehler als Beispiel nimmt, formuliert man in publizierten Texten schon mal deutlicher. Wehler hat bei Debatten um den historischen Wert psychologischer Deutungen beispielsweise geschrieben, dass unser Verständnis von Nationalsozialismus ja nicht davon abhängen könne, ob Hitler nur einen Hoden gehabt hätte. Es hätten ja auch drei gewesen sein können, die ihm zu schaffen gemacht hätten. In einer Hausarbeit für den Dozenten schreibt so zugespitzt sicherlich nicht. Das Ganze gilt auch umgekehrt. Wenn man so eine Formulierung – ohne sich bereits einen Namen gemacht zu haben – ins Internet schreibt und später in die Forschung will, könnte es schon sein, dass einem ein zu deutliches Zitat im Internet im Berufungsausschuss das Genick bricht.  

MZ: Sie haben von studentischen Publikationsplattformen als einem Teil von größeren Veränderungen gesprochen; was meinen Sie damit konkret? 

ACH: Studentisches Publizieren wird die Wissenschaft nicht von heute auf morgen verändern. Das ist ein längerer Prozess. Ich denke, dass Foren wie aventinus auch als Infor­mationsbasis genutzt werden können. Wenn ein Student sich auf ein Seminar zu Restau­ration und Vormärz (1815 bis 1848) vorbereitet, dann findet er bei uns, thematisch sortiert, die nötigen Informatio­nen. Und vor allem weiß er, dass das, was da steht, schon mal von einer Redaktion durch­geschaut worden ist. Wir haben den Anspruch, dass alle Texte bestimmte Qualitätsstan­dards erfüllen. Wir schauen nicht jede Jahreszahl nach, aber unsere Texte erfüllen Mindestansprüche. Das ist anders als bei wikipedia. Ich selbst bin ein erklärter Kritiker von wikipedia. Ich denke, dass dort bei Spezialthemen das Korrektiv fehlt. Wenn ich zu Deutsches Kaiserreich suche, würde ich – ohne den Artikel gelesen oder gar geschrieben zu haben – sagen, dass er zu 95 Prozent passt ... weil es hierzu einfach viele gibt, die sich damit beschäftigen. Der Artikel zu den Karlsbader Beschlüssen beispielsweise ist unvollständig, unpräzise und teilweise inkorrekt.  

MZ: Wenn Sie von aventinus im Unterschied zu Wikipedia sprechen, glauben Sie, dass studenti­sches Publizieren auch zu einer Konkurrenz für Professoren oder hauptberufliche Wis­senschaftler werden könnte?

ACH: Das kommt drauf an. Bei aventinus haben wir es nun geschafft, zitationsfähig zu werden und können unsere Beiträge bei der ­Historischen Bibliographie (einer der einschlägigen historischen Nationalbibliographien) aufgenommen worden. Hierdurch wird unser Wert in der akademischen Welt sicher angehoben. Wir werden auch jetzt schon teilweise zitiert. Insofern ja, studentische Pu­blikation kann Konkurrenz sein. Ich würde aber eher von Ergänzung sprechen.  

MZ: Ergänzung? 

ACH: Na ja, man muss immer sehen, aus welcher Perspektive ein Autor schreibt. Deshalb gibt es da definitiv einen Mehrwert. Ich kann das schlecht verbalisieren, aber studentische Texte bringen einen anderen Blickwinkel auf die Materie mit ein; sie schreiben anders als ein Professor, der andere, beispielsweise forschungslastige Akzente setzt. Ich glau­be auch, dass Studierende oft auch ganz andere Ideen und Geistesblitze haben als viel­leicht die etwas älteren Herrschaften.  

MZ: Gibt es Kritik von Seite der Professoren? 

ACH: Also wir haben bisher nur vereinzelte Rückmeldungen; diese sind aber überwiegend positiv. Generell würde ich spontan drei Fraktionen unterscheiden: Zum einen gibt es die sehr Progressi­ven, manche Dozenten schreiben sogar für aventinus. Daneben sehe ich eine große Grup­pe von Indifferenten, denen das Thema egal ist und eine Fraktion von Konservativen, die sich gerade einmal damit abgefunden haben, dass sie auch selbst teilweise online publi­zieren müssen.  

MZ: Fürchtet diese konservative Gruppe eine Konkurrenzsituation oder vielleicht sogar eine Unterwanderung der Wissenschaft?  

ACH: Spontan: Ja. ­Der Hauptpunkt ist, dass mittlerweile sämtliche Unis und Institute gerankt werden und darauf basierend auch Gelder zugewiesen werden. Und als Professor könnte man jetzt natürlich befürchten, dass jemand mal auf die Idee kommt, die Internetpräsenz der Herrschaften zu ranken. Und da könnte man dann feststellen, dass ein Professor im Internet vielleicht gar nicht auftaucht.  

MZ: Und studentisches Publizieren würde solche Rankings verzerren?  

ACH: Ja. Denn was ist, wenn studentisches Publizieren sich so etabliert, dass die Professoren im Internet weniger wahrgenommen werden. Wenn sich aber ein Dozent an dieser Tendenz beteiligt und beispielsweise Essays und Hausarbeiten aus seinem Seminar online veröffentlicht – dann hätte man nicht mehr Studierende, die für Studierende in einem von Studierenden betriebenen Portal publi­zieren, sondern die Dozenten wären wieder mit im Boot. In Köln gibt es beispielsweise im Bachelor ein Modul Medienkompetenz, bei dem man u.a. für studentisches Publizieren Cre­ditpoints bekommt. 

MZ: Wenn andere eine ähnliche Plattform wie aventinus aufmachen wollten, was würden Sie ihnen raten? Ist es rein technisch möglich, als Studentengruppe ein eigenes Online-Por­tal allein auf die Beine zu stellen? 

ACH: Wenn man die richtigen Leute mit dem richtigen Knowhow hat, ja. Wenn man aber eine Gruppe von zwei Historikern, einem Philosophen und drei Literaturwissenschaftlern ist, wird es schwierig. Als das Hauptproblem, woran es scheitern könnte, sehe ich ganz klar Geld und Manpower. So wie wir das bei aventinus machen, kostet die Sache ein Heiden­geld. Diese Mittel stehen einer Fachschaft normalerweise nicht zur Verfügung.  

MZ: Ohne die Bayerische Staatsbibliothek, die Sie seit Herbst 2009 unterstützt und auf de­ren Technik ihr zurückgreift: Gäbe es aventinus heute noch?

ACH: Wahrscheinlich nein. Ganz am Anfang, als wir noch als regelmäßiges Magazin erschienen sind, hatten wir teil­weise Probleme die Ausgaben zusammen zu bekommen. Und es gab technische Proble­me. Das Portal sah uns insgesamt zu unprofessionell aus. Da gab es schon die Überle­gung, das Projekt einzustampfen. Damals war ich Mitarbeiter des bei der »Stabi« betriebenen Internetportals historicum.net. Und da kam ich auf die Idee dort nach Unterstützung zu fragen. 

MZ: Um als Studentengruppe ein ernstzunehmendes Online-Magazin auf die Beine zu stellen, braucht man also immer einen etablierten Partner?  

ACH: Ich glaube man kann es ernsthaft aber nicht professionell auf die Beine stellen. Man kann ein Magazin durchaus ernsthaft organisieren, um aber auch als professionell wahrgenom­men zu werden, bedarf es eines renommierten Partners. Zum einen für die Technik, zum anderen ist für alle klar ersichtlich, dass die Qualität stimmt, wenn das Por­tal beispiels­weise auch von der Bayerischen Staatsbibliothek als Partner betrieben wird.  

MZ: Wo und wie sehen Sie aventinus in fünf Jahren? 

ACH: Wie größenwahnsinnig darf ich denn sein? Ich hoffe, dass wir dann ein eigenständiges Zentrum der Universität sind und zahlreiche Kooperationen mit anderen Universitäten etablieren. Wir überlegen uns auch, Rezensionen zu Fachliteratur zu veröffentli­chen. Vielleicht – und das jetzt auf die Gefahr hin, dass die Männer mit den weißen Turn­schuhen kommen – könnten wir so etwas wie das Kompetenzzentrum für studentisches Publizieren werden. Wir arbeiten bereits mit der Uni Hannover zusammen und würden solche Kooperationen gerne auf ganz Deutschland ausweiten. Im nächsten Jahr überlegen wir auch eine Tagung zu studentischem Publizieren zu veranstalten.  


Das Interview führte Matthias Ziegelmeier. Er ist Redakteur des forum und studiert Phi­losophie und Jura in München.

Empfohlene Zitierweise

Hofmann, Andreas C.: Generation Internet stürmt den Elfenbeinturm. aventinus generalia Nr. 6 [04.10.2011] / forum Nr. 2/2010, S. 81-85, in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/8353/

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieses Beitrags hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse.



Erstellt: 04.01.2011

Zuletzt geändert: 20.02.2011