Literaturgeschichte

  / aventinus / Varia / Literaturgeschichte

aventinus varia Nr. 30 [19.12.2011] 

 

Michael Kassube 

Der Roman „Die Kreuzritter“ 

Ein Blick in die Gegenwart der Vergangenheit 


Einführung

Das folgende Essay beleuchtet das Thema „Volkstumskampf im geteilten Polen“ aus literarischer Perspektive, indem es den Deutschen Orden in seiner Zeit darstellt und mit dem Bild des Deutschen Ordens im Roman Die Kreuzritter (polnisch: Krzyżacy) von Henryk Sienkiewicz vergleicht, um dieses Bild auf seine historische Situation hin zu untersuchen.

Die wichtigste Grundannahme dabei ist, dass das Konzept der Nation, wie es sich nach der Französischen Revolution in Europa auszuprägen begann, ein Produkt des 19. Jahrhunderts ist und nicht bereits vorher verdeckt und verkannt existierte, dass der Nationsbegriff im heutigen Sinne dem mittelalterlichen Menschen also fremd war. [1]

Um dieses Essay in annehmbarer Kürze zu halten, entschied ich mich, den historischen Überblick kurz anhand Bookmanns gelungener Einführung abzuhandeln. [2] Daneben existieren zahlreiche weitere Arbeiten zu jedem erdenklichen Aspekt ritterlichen Lebens im Spätmittelalter und zum Deutschen Orden. [3]

Historischer Hintergrund des Deutschen Ordens

Zunächst ein paar Worte über dessen Bezeichnung. In populärwissenschaftlicher Literatur wird der Deutsche Orden häufig „Deutscher Ritterorden“ genannt. Der Deutsche Ritterorden wurde 1835 nach Ende der napoleonischen Zeit in Österreich gegründet, ist also nicht identisch mit dem Deutschen Orden. Der mittelalterliche Name des Deutschen Ordens nahm ab ca. 1220 eine festere Form an und erschien nun als Fratres hospitalis sanctae Mariae Theutonicorum Ierosolimitanorum. [4] Daraus entwickelte sich die Kurzform Ordo Theutonicorum, die bei weniger formalen Anlässen benutzt wurde.

Im Jahr 1226 lud Konrad von Masowien den Deutschen Orden nach Preußen ein, um ihn im Kampf gegen die Prussen zu unterstützen. Es folgte die Goldbulle von Rimini (ab 1226), [5] in der der Kaiser dem Orden eine reichsfürstliche Stellung in den angebotenen Gebieten und den heidnischen Ländern garantierte. Die Urkunde bezeichnet die zu erobernde Region und das übertragene Gebiet als zur monarchia imperii gehörig. Mit diesem Recht hob sie den Hochmeister des Ordens in den Rang eines Reichsfürsten, jedoch ergab sich daraus keine Verpflichtung gegenüber dem Reich. Daher sind Preußen und das Kulmerland nicht faktisch zum Territorium des Reiches zu zählen, sondern Teil der ideellen universalen Herrschaftsgewalt des Kaisers (Imperium). Diese universale Herrschaftsgewalt konstituierte jedoch keinen Anspruch auf eine tatsächliche universale Herrschaftsausübung. [6]

Die Bekehrung der Prussen hatten bereits die Zisterzienser des Klosters Lekno mit beachtlichem Erfolg eingeleitet, was jedoch ein baldiger Aufstand wieder zunichte machte. Nachdem polnische Fürsten Herrschaftsansprüche über die neuen Christen angemeldet hatten, fielen viele prussische Fürsten wieder vom Glauben ab. Somit wurden sie in christlichen Augen Apostaten und mussten bekämpft werden. In diesem Zusammenhang rief Konrad von Masowien den Deutschen Orden ins Land (gegen seinen Konkurrenten Heinrich von Schlesien?). [7] Gleichzeitig verfolgte Herman von Salza erfolgversprechende Bemühungen, eine eigene Herrschaft des Ordens in Palästina aufzubauen.

Die weitere Herrschaftsausbildung in Preußen erfolgte durch den Vertrag von Kruschwitz (1230). [8] Darin soll Konrad von Masowien sämtliche Herrschaftsrechte an den zu erobernden Gebieten dem Deutschen Orden übertragen haben. Die Echtheit der Urkunde ist jedoch heftigst umstritten. Daraus entwickelte sich ein Streit über die Rechtmäßigkeit der Herrschaft des Deutschen Ordens in diesem Gebiet. Im nationalen und geschichtsteleologischen Denken des ausgehenden 19. Jahrhunderts gewann in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Orden die westliche Zivilisation zu den Barbaren gebracht habe oder ein einfacher Landräuber und institutionalisierter Raubritter sei, zentrale Bedeutung. [9]

1308/9 eroberte der Deutsche Orden Pomerellen. Damit führte er erstmals Krieg gegen rechtgläubige Christen und verletzte seinen Auftrag, nur gegen Heiden zu kämpfen. Dies führte zu Konflikten mit den benachbarten Fürstentümern. 

Den militärischen Erfolg versuchte der Orden rechtlich abzusichern, indem er die Herrschaftsrechte des Gebietes vom Markgrafen von Brandenburg erwarb. Dies war möglich, da Fürst Mestwin II. von Pommerellen (poln: Mściwój II.) im Lehensauftrag des Markgrafen stand. Gleichzeitig überschrieb Mestwin II. das Land dem Herzog von Großpolen Bolesław Pobożny. Die kirchliche Zugehörigkeit Pommerns und Pommerellens zu Włocławek, das wiederum zu Gnesen gehörte, hielt jedoch die Erinnerung an eine Zugehörigkeit zum polnischen Herrschaftsverband wach. [10] Gleichzeitig wurde der Deutsche Orden vor dem Papst angeklagt (1311). Der sich nun über Jahre hinziehende Prozess schürte wohl Ängste des Ordens, das selbe Schicksal zu erleiden wie die Templer 1312.

Nach Verlust von Akkon (1291), residierte der Hochmeister des Deutschen Ordens in Venedig, erst 1309 siedelte er nach Marienburg über. Damit erst wurde Preußen zum zentralen Herrschaftsgebiet des Ordens, was jedoch auf heftigen Widerstand stieß, da kurz zuvor in die Ordensregel das Verbot des Wechsels des Hauptsitzes des Hochmeisters geschrieben worden war. 

Es folgten weitere Klagen gegen den Deutschen Orden. 1339 forderte der polnische König die Herausgabe des Kulmer Landes, also des ursprünglichen Ordenslandes. Dies fasste der Orden als Angriff auf seine Existenz insgesamt auf. Doch der Konflikt konnte bereits vier Jahre später im Frieden von Kalisch (1343), der den Verzicht Polens auf Pomerellen fixierte, beigelegt werden. 

Die polnisch-litauische Union, die am 14. August 1385 durch die Heirat der polnischen Königin Jadwiga mit dem litauischen Großfürsten Jagiełło und dessen gleichzeitige Taufe geschlossen wurde, führte zu neuen Konflikten. Der Deutsche Orden weigerte sich, die sogenannten Litauenreisen, das heißt bewaffnete Feldzüge nach Litauen, die zur Christianisierung der Heiden führen sollten und ein fester Programmpunkt in der ritterlichen Lebenswelt waren, einzustellen. Er argumentierte mit der oberflächlichen Christianisierung der Litauer. Dennoch erkannte der Papst Litauen als christliches Land an und richtete ein Erzbistum in Wilna ein.

Die Situation in Litauen selbst war jedoch alles andere als stabil. Das Großfürstentum wurde von den Nachfahren des Gediminas [11] regiert. Dazu zählten auch der Großfürst Jagiełło und sein Vetter und mächtigster Konkurrent Witold. Witold unterwarf sich zwar Jagiełło und konnte danach die Herrschaft über Litauen ausüben, während Jagiełło über Polen herrschte. Dies verhinderte jedoch nicht, dass Spannungen zwischen den beiden entstanden. Am 12. Oktober 1389 schloss Witold den Vertrag von Sallinwerder mit dem Orden. Witold trat darin größere Gebiete Litauens an den Orden ab, dieser kleinere in Preußen. Da der Fürst gegen die Goldene Horde ziehen wollte, versuchte er sich so den Rücken freizuhalten. An diesem Feldzug beteiligten sich ebenfalls Ordensritter. Die Niederlage an der Worskla am 12. August 1399 beendete jedoch Witolds Ambitionen, eine eigene Großmacht in Osteuropa aufzubauen. Damit wurde auch das Bündnis mit dem Deutschen Orden hinfällig, und erst jetzt begann sich die polnisch-litauische Union zu festigen.

Den folgenden Konflikt begleiteten große propagandistische Aktionen, mit denen Polen und der Orden versuchten, die eigene Legitimität zu untermauern. 

Die Kreuzritter im Roman 

Sienkiewiczs Roman [12] lässt sich in drei große Handlungsabschnitte einteilen. Im ersten, kürzesten, werden die Hauptcharaktere vorgestellt, die polnische Königin Jadwiga tritt auf, und das grundlegende Bild der Kreuzritter wird gezeichnet. Hier begegnet der Held des Romans, der junge Adlige Zbyszko, der Tochter Jurands von Spychow, Danusia, deren Mutter von den Kreuzrittern getötet wurde, verliebt sich in sie, gelobt ihr, drei hochrangige Kreuzritter zu töten, und gelangt an den Königshof in Krakau. Spannungen zwischen dem polnischen Königreich und dem Deutschen Orden werden deutlich beschrieben, ebenso die Rolle der Königin Jadwiga. Ihr wird attestiert, dass nur sie, aufgrund ihrer christlichen Nächsten- und Friedensliebe, ihren Mann Władysław II. Jagiełło daran hindere, gegen den Orden in den Krieg zu ziehen. Zentrale Abschnitte dieses ersten Teiles sind das Festmahl am Königshof und die durch List abgewendete Hinrichtung Zbyszkos wegen einer Verfehlung gegen den Ordenskomtur Kuno von Lichtenstein. Kurz davor starb bereits Jadwiga an den Folgen der Geburt eines Kindes.

Der zweite Abschnitt nimmt den größten Teil des Buches ein und beinhaltet die Entführung Jurands und dessen Tochter, deren beider Rettung, sowie das Leben auf dem Erbgut des Helden: Die Kreuzritter fürchten Jurand von Spychow, denn sämtliche Versuche, ihn mit Gewalt von seinen Rachefeldzügen gegen den Orden abzubringen, sind bisher gescheitert. Daher solle dies nun durch List geschehen. Seine Tochter Danusia wird entführt und Jurand mit dem Versprechen ihrer Freilassung in eine Burg des Ordens gelockt. Es ergibt sich fast von selbst, dass die Kreuzritter sich natürlich nicht an ihr Wort halten. Weder geben sie seine Tochter, noch Jurand aus ihrer Gewalt frei. Stattdessen wird dieser in seiner Ritterehre verhöhnt und grausam verstümmelt. Erst nach Verlust seiner rechten Hand, seines Augenlichtes und seiner Zunge wird er wieder freigelassen. In der Folge wird Jurand zu einer Art Heiligem, der für seine früheren Sünden gebüßt hat und nun ein reines Leben führt, jedoch gerade darin die Menschen zum Kampf gegen den Deutschen Orden ermutigt. [13] In der Zwischenzeit ist Zbyszko auf der Suche nach seiner Danusia und ihrem Vater. Nach dem im ersten Teil beschriebenen Tod Jadwigas verhärten sich die Fronten zwischen dem Deutschen Orden und Władysław.

Der letzte Teil umfasst den Vorlauf und die Schlacht von Tannenberg selbst, die mit dem glorreichen Sieg der vereinten Polen und Litauer mit ihren Verbündeten gegen den Deutschen Orden endet. 

Um den Rahmen dieses Essays nicht vollkommen zu sprengen, beschränke ich die nähere Analyse auf den ersten Abschnitt des Buches, da sich hier der größte Teil der Beschreibungen und Charakterisierungen des Ordens als Organisation befindet, die hier zentral behandelt werden sollen. Der zweite Teil schildert vor allem einzelne Repräsentanten des Ordens und ihre Persönlichkeit. Hier bestätigen sich quasi die allgemeinen Urteile über den Orden anhand einzelner Individuen. Der letzte Teil vollendet das Werk mit der geschichtemachenden Schlacht von Tannenberg, auf die die gesamte Handlung des Romans hinzielt. Sowohl in der Beschreibung der Schlacht, als auch in vielen anderen Momenten des Buches lehnt sich Sienkiewicz sehr stark an die Chronik Jan Długoszs an, [14] die er in manchen Stellen fast wortwörtlich übernimmt.

Die besondere Gefahr für Polen durch den Orden besteht in Sienkiewicz' Schilderung nicht darin, dass er eine militärische Macht wie viele andere sei, sondern dass er auf die Vernichtung des „polnischen Stammes“ ziele. Er nutze dabei die Frömmigkeit der polnischen Fürsten und Ritter aus und blende sie mit dem Glanz seiner Geschenke. [15] Bereits in der ersten Charakterisierung wird der Orden mit den höllischen Mächten in Verbindung gebracht. Ihm gegenüber steht der demütige, fast einfältige Held des Romans. Diese höllische Verbindung des christlichen Ordens drückt sich in Sätzen wie den folgenden aus:

Sie ziehen es vor, dem Höllenvogt zu dienen, statt sich Deinem Dienst zu weihen. Haß tragen sie gegen uns im Herzen, weil unser König und unsere Königin ihnen verbot, nachdem die Litauer die heilige Taufe erhalten hatten, mit dem Schwert Deine christlichen Diener niederzuschlagen. Ich aber, der sündige Zbyszko, tue Buße vor Dir und vor Deinen fünf Wunden.“ [16]

„Sie lehren es [das Volk] nicht die Gebete Gottes, und da sie es der heiligen Sakramente berauben, verdammen sie es zu noch größeren Höllenqualen, als wenn es im Heidentum verharrt hätte. Kriege führen sie, aber nur zur Stillung ihrer Habgier.“ [17]

Diese wahren Absichten des Ordens und sein Verhalten offenbart Anna Danuta dem Abt von Tyniec. Dabei sehen wir eine Umkehrung des Gebots der Feindesliebe [18] durch den Orden. Er wird beschrieben:

„Wer ihm Gutes tut, dem lohnt er schlecht. Gibt es sonst noch einen Orden auf der Welt, der solche Wohltaten von polnischen Fürsten erwiesen bekam, und wie lohnte er es? Da mit dem bittersten Hass, dort mit Plünderung des Landes, hier mit Krieg und Verrat.“ [19]

Dies stellt einen besonderen Gegensatz dar, da die Ritter des Ordens selbst den Namen Gottes und die Barmherzigkeit im Munde führen und als christlicher Orden gerade mit Nächstenliebe und als Förderer der Tugenden auftreten sollten. 

Die militärische Macht des Ordens wird mit der Macht seiner Reliquien, die er erworben hat, begründet. Diese mache es unmöglich, im Kampf gegen ihn zu bestehen. Dabei würden sich die Reliquien letztendlich gegen Sünder und Hochstapler wenden. 

Schwierig ist es auch deshalb, im Krieg gegen sie zu bestehen, weil sie Ordensbrüder sind und das Kreuz auf dem Mantel tragen. Wenn sie jedoch das Maß der Sünden überschreiten, dann werden diese Heiligen und ihre Reliquien, von Ekel erfüllt, nicht nur ihre Macht erhöhen, sondern sich ganz von ihnen wenden.“ [20]

Die Arroganz der Kreuzritter stellt zunächst Kuno von Lichtenstein dar. Dieser zeigt sich gegenüber niederen hochmütig, schmeichelt jedoch  Władysław II., Jagiełło und der Königin. Sein Hochmut zeigt sich an den unannehmbaren Bedingungen, unter denen er bereit ist, eine Entschuldigung Zbyszkos zu akzeptieren.

„Ich halte mich noch kurze Zeit auf zur Begrüßung der masovischen Fürstin, und ich verlange, daß jene beiden absteigen, die Helme abnehmen und auf der Erde, mit entblößtem Haupt, mich um Verzeihung bitten.“ [21]

Gleichzeitig sehen wir bereits beim vorangegangen Gespräch einen Gegensatz zwischen der unmenschlichen Kälte und Regungslosigkeit des Komturs und der lebhaften, emotionalen Gespräche der Polen. Die etwas später auftretende Königin Jadwiga wird zum totalen Gegenteil zum bisher entworfenen Bild des Deutschen Ordens. Sein Ziel sollte es sein, Litauen zu taufen. Ihr gelang es, nicht mit Macht, sondern mit Worten. Der Kälte und Verschlagenheit wird Milde, Liebe und Aufopferung entgegengestellt.

In der ganzen Welt bewunderte man ihre Taten und dachte mit Staunen daran, wie dieses wunderbar schöne Kind des angiovinischen Hauses und der polnischen Piasten, wie die Tochter des mächtigen Ludwig, die an dem glänzendsten Hof erzogen worden war, auf ihr persönliches Glück verzichtet hatte, verzichtet hatte auf ihre erste, jungfräuliche Liebe, um als Königin sich mit einem ‚wilden‘ litauischen Fürsten zu vermählen, damit sie in Gemeinschaft mit ihm das letzte heidnische Volk Europas dem Kreuz zugänglich mache. Was die vereinigten Kräfte der Deutschen, was die Macht der Orden, was die Kreuzzüge, was all das vergossene Blut lange nicht zustande hatten bringen können, dazu genügte ein einziges Wort von ihr. Niemals hatte der apostolische Titel ein jüngeres, schöneres Haupt umstrahlt, niemals war bis jetzt in einer Person solche Frömmigkeit und solche Aufopferung vereinigt, niemals noch war Frauenschönheit mit solcher Engelsgüte und ruhigen Ergebenheit gepaart gewesen.“ [22]

Sie ist eine wahre Mutter Polens und der Verehrung würdig. In ihr vereinigen sich sämtliche christlichen Tugenden, sodass sie schon fast nicht mehr menschlich erscheint, sondern als eine Lichtgestalt, der die Verehrung einer Heiligen gebührt. Wie anders lesen sich die Charakterisierungen einzelner Kreuzritter oder deren Verhalten. Als Beispiel ließe sich wiederum der schon erwähnte Kuno von Lichtenstein anführen: 

Kuno drückte die Augen zu und erhob stolz sein Haupt, wie wenn er darüber frohlocke, daß sowohl die beiden Fürstinnen als auch so namhafte Ritter sich zu einer Bitte an ihn verstanden. Im nächsten Augenblick jedoch veränderte sich sein Gesichtsausdruck vollständig, er senkte den Kopf, faltete die Hände auf der Brust, sein Stolz verwandelte sich in Demut und in gedämpftem, sanftem Ton sprach er: ‚Christus, unser Erlöser, vergab dem Sünder am Kreuz und seinen Feinden …‘
[]
‚Weshalb sollte ich ihm nicht verzeihen, da ich nicht nur ein Christ, sondern auch ein Ordensbruder bin?‘ fuhr Kuno fort. ‚Ich verzeihe ihm von ganzem Herzen als Diener Christi und als Ordensbruder.‘
[]
‚Aber‘, begann der Kreuzritter wieder, ‚ich bin ja Gesandter hier bei Euch, und in mir ist die hohe Würde des ganzen Ordens verkörpert. Wer daher mich, den Gesandten, beleidigt, der beleidigt Christus selbst. Deshalb kann ich die Kränkung, Gott und den Menschen gegenüber, nicht verzeihen – wenn aber Eure Gesetze sie ungestraft hingehen lassen, soll es allen christlichen Magnaten kundgetan werden.‘“ [23]

Rezeption bis heute 

Das Bild des Deutschen Ordens in Sienkiewicz Roman Die Kreuzritter erscheint also recht klar: Die Ordensritter seien arrogant, kalt und abfällig gegenüber den Polen und zollten nicht einmal dem Papst in Rom Respekt. Diese Schilderung blieb nicht ohne Wirkung: Den siegreichen Kampf gegen die Kreuzritter wertete die nationale Literatur Polens als Sieg der Slawen gegen die aggressiven Deutschen, [24] sowohl nach dem Ersten, wie nach dem Zweiten Weltkrieg war er einer der fundamentalen Gründungsmythen des polnischen Nationalstaates, der sich damit auf die alte Union berief. Der Bau zahlreicher Grunwalddenkmäler nach dem Ersten Weltkrieg, die Übernahme des Buches in den Schulkanon [25] und nicht zuletzt dessen Verfilmung aus dem Jahr 1960 [26] machen eines deutlich: Hier wird nicht eine Welt der Vergangenheit dargestellt, sondern mit Hilfe der Vergangenheit Gegenwärtiges demonstriert.

Stefan M. Kuczynski bescheinigte 1955, der Roman sei eine gute und korrekte Darstellung der Zeit des ausgehenden 14. und beginnenden 15. Jahrhunderts und würde die Kreuzritter noch zu zurückhaltend beschreiben. [27] Dieses Urteil wurde von Fachkollegen zwar nicht wiederholt, wirkte jedoch in der Öffentlichkeit umso mehr. Einer solchen Bewertung ist jedoch aufs Deutlichste zu widersprechen. Zwar scheinen einzelne Aspekte des Romans die spätmittelalterliche Geistes- und Erfahrungswelt durchaus passend widerzuspiegeln, insbesondere die Frömmigkeits- und Gottesvorstellungen. Diese vermischen sich jedoch mit dem nationalen Pathos und Volksgedanken, die Sienkiewicz seinen Helden eingibt. Das Buch als adäquate Darstellung des Konfliktes zwischen dem Deutschen Orden und „den“ Polen zu lesen oder als korrekte historische Darstellung sehen zu wollen, führt dementsprechend zu keinem befriedigenden Ergebnis. Es auf seine Wirkungsgeschichte und Überzeugungskraft im ausgehenden 19. Jahrhundert und bis heute zu untersuchen, ist jedoch eine durchaus lohnende Aufgabe, die immer wieder aufs Neue mit neuen Ergebnissen durchgeführt werden kann und auch wurde. [28]

Eines sollte man bei der Interpretation dieses Buches jedoch nicht vergessen: Ein historischer Roman muss eine spannende Handlung haben. Somit kann das Buch auch bar jedes Gedankens an deutsch-polnische Konflikte der Vergangenheit und Gegenwart gelesen werden und schlichtweg seine erste Funktion als historischer Roman erfüllen: Den Leser in eine ferne fremde Vergangenheit zu versetzen und ihn dort Abenteuer erleben zu lassen.

Anmerkungen

  • [1]

     Die umfangreiche Literatur zur Genese des Nationalstaates und der Nation hier vorzustellen, würde ein eigenes Buch füllen. Daher nur drei zentrale Werke: Benedict Anderson: Imagined communities. Reflections on the origin and spread of nationalism. London 1991. Eric J. Hobsbawm: The Invention of Tradition. Cambridge 1994. Miroslav Hroch: Das Europa der Nationen. Die moderne Nationsbildung im europäischen Vergleich. Göttingen 2005.

  • [2]

     Hartmut Bookmann: Der Deutsche Orden. Zwölf Kapitel aus seiner Geschichte. München 1981.

  • [3]

     Eine kleine Auswahl zum Thema Ritter und ritterliches Leben: Josef Fleckenstein: Das ritterliche Turnier im Mittelalter. Beiträge zu einer vergleichenden Formen- und Verhaltensgeschichte des Rittertums. Göttingen 1985. Wojciech Iwanczak: Höfische Kultur und ritterliche Lebensformen. Polen vor dem Hintergrund der europäischen Entwicklung. In: Thomas Wünsch (Hrsg.): Das Reich und Polen. Parallelen, Interaktionen und Formen der Akkulturation im hohen und späten Mittelalter. Ostfildern 2003, S. 277–300. Thomas Jurek: Die Migration deutscher Ritter nach Polen. In: Wünsch, S. 243–273. Zdzislaw Zygulski: Knightly Arms – Plebeian Arms. In: Quaestiones medii aevi novae 4 (1999), S. 21–44. Zum Thema Deutscher Orden: Roman Czaja, Krzystof Mikulski: Sozialökonomische Aspekte des Grundeigentums in preußischen Städten im Mittelalter. In: Quaestiones medii aevi novae 6 (2001), S. 103–128. Monika Flache: Mythen der Nationen. Ein europäisches Panorama. Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl; Begleitband zur Ausstellung vom 20. März 1998 bis 9. Juni 1998. Berlin/München 1998. Jürgen Sarnowsky: Der Deutsche Orden. München 2007. Grischa Vercamer: Politische Machtstrukturen im Ordensstaat Preußen zu Anfang des 14. Jahrhunderts am Beispiel des Obersten Marschalls Heinrich von Plotzke. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 56 (2007), S. 91–104. Quellen und Hilfsmittel: Johannes Voigt: Namen-Codex der Deutschen Ordens- Beamten, Hochmeister, Landmeister, Großgebieter, Komthure, Vögte, Pfleger, Hochmeister-Kompane, Kreuzfahrer und Söldner-Hauptleute in Preussen. Niederwalluf bei Wiesbaden 1971. Theodor Hirsch u. a. (Hrsg.): Scriptores rerum Prussicarum. Die Geschichtsquellen der preussischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft. ND Frankfurt am Main 19651968.

  • [4]

     Dabei ist zu beachten, dass der Name unterschiedlich ausgestaltet sein kann. So kann der Orden etwa auch als Ordo fratrum hospitalis sanctae Mariae Theutonicorum Ierosolimitanorum auftreten. Zentral bleibt der Bezug auf das Spital in Jerusalem. Vgl. für diesen Zusammenhang auch Bookmann, S. 34.

  • [5]

     Zur Diskussion um die Echtheit und das Ausstellungsdatum der Bulle vgl. Tomasz Jasiński: Kruschwitz, Rimini und die Grundlagen des preussischen Ordenslandes. Urkundenstudien zur Frühzeit des Deutschen Ordens im Ostseeraum. Marburg 2008.

  • [6]

     Bookmann, S. 69 und S. 85f. Die Rolle und die Entstehung der Goldbulle von Rimini wurde umfangreich diskutiert. Dabei stand vor allem die Frage im Zentrum der Aufmerksamkeit, ob in dieser Bulle eine Ostpolitik des Kaisers zu erkennen ist und ob diese bereits ein Beweis des deutschen „Drangs nach Osten“ sei. Ein Ergebnis dieser Diskussion ist die unterschiedliche Gestaltung der Karten des Ordensgebietes. So zeigt Gustav Droysen, Richard Andree: Allgemeiner Historischer Handatlas. Leipzig/Bielefeld 1886, S. 30f., das Ordensgebiet als zum Reich gehörig. F. W. Putzger: Historischer Weltatlas. Bielefeld/Berlin/Hannover 1961, S. 60, jedoch nicht. Die Karte des Reichsgebiets auf S. 58 wiederum schlägt das Ordensgebiet dem Reich zu.

  • [7]

     Bookmann, S. 80ff. Zum weiteren Problem der Heidenmission und der damit untrennbar verbundenen Erwartung an die neu Missionierten, als Christen ihre alten Stammes- und Herrschaftsverbindungen aufzugeben und sich neuen unterzuorden, vgl. James Palmer: Defining paganism in the Carolingian World. In: Early Medieval Europe 15 (2007), Heft 4, S. 402425. Der Aufsatz setzt seinen Augenmerk zwar in eine andere Region und Epoche, das Grundproblem bleibt jedoch gleich. Dabei auch eine Auseinandersetzung mit dem Begriff „Heidentum“ (englisch: paganism) und dessen Bedeutung.

  • [8]

     Auch hier gilt: vgl. Jasiński.

  • [9]

     Für einen umfangreichen Literaturüberblick sei empfohlen das etwas ältere Kapitel acht „Zur Bedeutung und Funktion der Ideologie des Ordensstaates im historisch-politischen Bewusstsein Polens“ in Wolfgang Wippermann: Der Ordensstaat als Ideologie. Das Bild des Deutschen Ordens in der deutschen Geschichtsschreibung und Publizistik. Berlin 1979, S. 337369.

  • [10]

     Bookmann, S. 141ff. Von deutscher Seite wurde diese Eroberung gerne mit geostrategischer Notwendigkeit begründet. Die wichtigste Straße, die den Ordensstaat mit dem Westen und Süden verband, führte nach Thorn, weiter nach Süden, durch Polen, Böhmen, nach Süddeutschland, Österreich und Italien (S. 143).

  • [11]

     Polnisch Gedymin, geboren 1275, gestorben im Winter 1340/41, gilt als der Begründer des Großfürstentums Litauen und Stammvater des Geschlechtes der Gedimiden, aus denen später die Jagiellonen hervorgingen.

  • [12]

     Der Text und die Seitenangaben stammen aus Henryk Sienkiewicz: Die Kreuzritter. Historischer Roman, Erftstadt 2003 (erstmals vollständig erschienen 1900, übersetzt aus dem Polnischen von E. und R. Ettlinger, Titel der Originalausgabe: Krzyżacy). Die englische Übersetzung aus dem Jahre 1900 lässt sich unter http://www.archive.org/details/knightsofcross00sienuoft kostenlos abrufen. In Polnisch ist die 1990 im Zakład Narodowy Imienia Ossolinskich erschienene Ausgabe zu empfehlen. Die ersten beiden Bücher des Werkes sind durch das polnische Wikisourceprojekt auch online abrufbar: http://pl.wikisource.org/wiki/Krzy%C5%BCacy (Weblinks zuletzt aufgerufen am 13.12.2011).

  • [13]

     Hier lässt sich vielleicht eine Anspielung auf den polnischen Messianismusgedanken seit Adam Mickiewicz erkennen. Die mächtige Nation wird durch Verrat verstümmelt, gedemütigt und gebrochen. Dennoch stirbt sie nicht. Sie lebt als Heilige weiter, die alleine durch ihre Existenz Menschen zu ihrer Verteidigung und zum Kampf für ihre Wiederauferstehung treibt.

  • [14]

     Joannis Dlugossii Annales seu cronicae incliti regni Poloniae. Bd. 1012. Hrsg. von der Polska Akademia Umiejętności. 19852005. Eine sehr gut zu lesende, jedoch stark gekürzte Übersetzung der Chronik stammt von Maurice Michael: Jan Długosz: The annals of Jan Długosz. An English abridgement. Hrsg. von Maurice Michael, Chichster 1997.

  • [15]

     Sienkiewicz, S. 34.

  • [16]

     Ebd., S. 33.

  • [17]

     Ebd., S. 35.

  • [18]

     „Liebet eure Feinde, segnet, die euch verfluchen, tut Gutes denen, die euch hassen, bittet für die, die euch beleidigen und verfolgen“ (Mt 5, 4345).

  • [19]

     Sienkiewicz, S. 34.

  • [20]

     Ebd., S. 35.

  • [21]

     Ebd., S. 44f.

  • [22]

     Ebd., S. 55f.

  • [23]

     Ebd., S. 69.

  • [24]

     Vgl. Wippermann, S. 336ff.

  • [25]

     Halina Kosetka: O Krzyżakach Henryka Sienkiewicza. In: Kazimierz Robakowski u. a.: Przeszłość odległa i bliska. Marcelemu Kosmanowi w sześćdziesiąta rocznice urodzin. Poznań 2000, S. 431443.

  • [26]

     Krzyżacy (Die Kreuzritter) von Aleksander Ford, 1960, ein rund dreistündiges Filmepos. Eine neuere umfangreiche Analyse des Films und dessen Wirkungsgeschichte in Dietmar Albrecht, Martin Thoemes (Hrsg.): Mare Balticum. Begegnungen zur Heimat, Geschichte, Kultur an der Ostsee. München 2005.

  • [27]

     Stefan M. Kuczyński: Korektury historyczne do „Krzyżaków“ Henryka Sienkiewicza. In: Przegląd Zachodni 11 (1955), S. 501526. Wieder abgedruckt in: Lech Ludorowski (Hrsg): W stulecie "Krzyżaków" Henryka Sienkiewicza. Kielce 2000, S. 163ff.

  • [28]

     Ein Beispiel hierfür: Jerzy Serczyk: Die Wandlungen des Bildes vom Deutschen Orden als politischer, ideologischer und gesellschaftlicher Faktor im polnischen Identitätsbewusstsein des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Zenon Hubert Nowak (Hrsg.): Vergangenheit und Gegenwart der Ritterorden. Die Rezeption der Idee und die Wirklichkeit. Torun 2001, S. 5565.

Empfohlene Zitierweise

Kassube, Michael: Der Roman „Die Kreuzritter“. Ein Blick in die Gegenwart der Vergangenheit. aventinus varia Nr. 30 [19.12.2011], in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/9190/

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieses Beitrags hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse.



Erstellt: 17.12.2011

Zuletzt geändert: 19.12.2011

ISSN 2194-1971