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aventinus recensio Nr. 32 [31.07.2012] 

Matthias Krämer 

Bertold Alleweldt: Herbert Backe. Eine politische Biographie, Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin 2011. 20,00 €. ISBN 978-3-86573-642-0. 


Bertold Alleweldt hat ein ungewöhnliches Buch veröffentlicht. Es behandelt mit dem Staatssekretär und Reichsminister Herbert Backe einen der wichtigsten NS-Funktionäre – und einen, den keine Monographie zuvor berücksichtigte. Das bewegte den Verfasser dazu, seine Magisterarbeit elf Jahre nach ihrer Fertigstellung noch drucken zu lassen. Es ist zu begrüßen, dass das heute problemlos möglich ist.

Herbert Backe (1896–1947) wurde als Sohn deutschstämmiger Eltern in Batumi geboren, einer heute georgischen Stadt, die 1878 vom Osmanischen Reich an Russland übergegangen war. Nach deutsch- und russischsprachiger Schulbildung wurde Backe im Ersten Weltkrieg als Deutscher interniert und emigrierte im April 1918 mittellos ins Deutsche Reich. Von 1920 bis 1923 studierte er an der Universität Göttingen und erwarb ein Diplom in Landwirtschaftslehre. Währenddessen baute er seine praktischen Erfahrungen in der Landwirtschaft aus und kam mit dem Nationalsozialismus in Kontakt. Später betonte er, dass der Idealismus der Nationalsozialisten ihn beeindruckt habe und er sich mit den Gedanken der Volksgemeinschaft und der Auslese identifiziert habe (S. 20). Als Assistent mit dem Schwerpunkt russische Agrarwirtschaft an der TH Hannover entwickelte er seine Expertise auf diesem Gebiet weiter. Auch seine 1926 abgelehnte Dissertation über die russische Getreidewirtschaft als Grundlage der Land- und Volkswirtschaft Russlands bereitete Backes Tätigkeit im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft (REL) ab 1933 vor: 

In Übereinstimmung mit der Blut- und Boden-Ideologie des Ministers Walther Darré sah Staatssekretär Backe die Landwirtschaft als Schlüsselbereich des NS-Staates an. Alleweldt hebt das Reichsnährstands- und das Reichserbhofgesetz hervor und betont, dass Backe rasch „der eigentliche ‚Macher‘ im REL“ (S. 43) wurde. Als Leiter der Geschäftsgruppe Ernährung in Görings Vierjahresplanbehörde war Backe ab 1936 gegenüber Darré weisungsbefugt und fungierte als „Schattenminister“ (S. 48). Im Mai 1942 wurde er mit der Führung der Geschäfte des offiziell nur beurlaubten Darré beauftragt (S. 94) und im April 1944 zum Minister ohne Geschäftsbereich ernannt (S. 99). Erst am 2. Mai 1945 ernannte Karl Dönitz Backe zum Ernährungsminister. 

Über ein Fünftel des gesamten Buches machen die beiden längsten Kapitel über die Vorbereitung der Operation „Barbarossa“ aus. Nachdem er im November 1940 über den geplanten Krieg gegen die Sowjetunion informiert worden war, entwickelte Backe Pläne, wie der Krieg, der weithin als wirtschaftlich schädlich galt, nutzbar zu machen wäre: Alleweldt benutzt die Begriffe Backe-Plan und Hungerplan nur zurückhaltend (S. 10, 75). Doch er stellt eine Reihe von Quellen vor, die nur den Schluss zulassen, dass Backe hauptverantwortlich für jene Pläne war, laut denen in den besetzten Gebieten 30 Millionen Menschen verhungern sollten, weil die Nahrungsmittelproduktion der fruchtbaren Schwarzerdegebiete zur Versorgung der Wehrmacht verwendet und ansonsten ins Reich abtransportiert werden sollte. Dass die Zahl der verhungerten Sowjetbürger nicht diese Dimension erreichte, lag zunächst daran, dass Backes Forderungen nach Nahrungsabtransport im ersten Jahr aufgrund des fehlgeschlagenen „Blitzkriegs“ nicht erfüllt werden konnten und sich die Politik ab 1942 der Ausbeutung sowjetischer Arbeitskräfte zuwandte, die dafür ernährt werden mussten.

Alleweldts Magisterarbeit skizziert Herbert Backe – „im ernährungspolitischen Sektor […] nach Hitler und Göring mächtigster Mann im Dritten Reich“ (S. 113) – auf Grundlage seines Nachlasses und weiterer ungedruckter Quellen aus den Bundesarchiven Koblenz und Berlin-Lichterfelde. Darüber hinaus hat der Verfasser einige gedruckte Quellen benutzt und ein paar seiner Quellen selbst aufgetan, darunter Backes „Vorläufiges Testament“ und ein Gespräch mit zwei Kindern Backes. Das ist verdienstvoll. So schildert Alleweldt Backes Lebenslauf mit einigen Details, die anderswo nicht nachzulesen sind. 

Was der Verfasser damit jedoch zeigen möchte, bleibt unklar. Das ist ein häufiges Problem bei derartigen Publikationen von Qualifikationsarbeiten. Die Untersuchung ist nicht auf eine Leitfrage hin ausgerichtet, und die Forschungsliteratur benutzte der Verfasser nach eigenem Bekunden „vornehmlich, um quellengestützte Ereignisse in historische Sachverhalte betten und im Zusammenhang erklären und diskutieren zu können“ (S. 15). Leider kommt das Erklären und Diskutieren zu kurz, während zu viel Material zu oberflächlich zu vermeintlichen Ereignissen verarbeitet wird. Der darin aufscheinende historistische Positivismus ist misslich, aber letztlich nicht dem Verfasser anzulasten, der eine Qualifikationsarbeit entsprechend der erwünschten Maßstäbe vorzulegen hatte. Die Studie über Backe verliert jedoch auch im Rahmen des Historismus an Wert durch eine zu wenig kritische Betrachtung der verwendeten Quellen. Beispielsweise behauptet Alleweldt, Backe habe „eine glückliche Jugend“ gehabt. Er stützt sich dabei auf Angaben von Backes Kindern in einem Gespräch im Jahr 2000, die sich demnach an derartige Aussagen ihres Vaters ihnen gegenüber erinnerten. Methodischer Zweifel wäre hier ebenso angebracht wie gegenüber einem Brief, laut dem sich Angehörige Backes an über 50 Jahre zurückliegende Ereignisse erinnerten (die sie nur vom Hörensagen kannten), während dem Verfasser nur die Kopie einer Abschrift dieser Quelle vorlag, die zu einem unbekannten Zeitpunkt von Backes Witwe angefertigt worden war (S. 17f. und öfter). Leider stützt sich der Verfasser auch dann umfänglich auf Quellen, wenn er bereits entdeckt hat, dass sie, wie Backes autobiographische Rechtfertigungsschrift, klare Unwahrheiten enthalten (S. 60 u.ö.). 

Der Wert der Untersuchung ergibt sich daher neben dem Überblick über Backes Leben vor allem aus den Fragen, die sie aufwirft. Die Bedeutung des Hungerplans ist inzwischen eingehend, aber nicht abschließend diskutiert. Zum Zusammenspiel von nationalsozialistischer Ideologie und pragmatischem Effizienzdenken in der zweiten Reihe der NS-Funktionäre existieren Ansätze; Alleweldt unterstreicht ihre Relevanz durch die Betonung von Backes Einfluss- und Aufstiegsmöglichkeiten. Konkret wäre etwa zu fragen, welche Bedeutung Backes Jugend in Russland und seine Befassung mit der Landwirtschaftskunde dieser Region für die Entwicklung seiner Ernährungs- und Hungerplanungen hatte. Wenn gezeigt werden kann – was Alleweldt mehrfach unter Verweis auf die Literatur andeutet – dass ernährungspolitische Überlegungen mitursächlich für Entscheidungen wie die zum Überfall auf die Sowjetunion oder zur Ermordung der europäischen Juden waren: Welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für die Ernährungspolitik und ihre Erforschung? 

Antworten auf diese und andere Fragen sind von der geplanten Monographie von Gesine Gerhard zu erhoffen, die wegen des Arbeitstitels „Herbert Backe: A Political Biography“ nicht für eine bloße Übersetzung von Alleweldts Untersuchung gehalten werden sollte. [1] Alleweldts Vorabeiten benutzte Gerhard bereits in einem 2009 erschienenen Aufsatz. [2]

Anmerkungen

  • [1]

     Vgl. Gesine Gerhard: Curriculum Vitae, in: pacific.edu, 18.03.2011, <http://www.webcitation.org/68MkL98jN> (12.06.2012, Archivversion).

  • [2]

     Gesine Gerhard: Food and Genocide. Nazi Agrarian Politics in the occupied territories of the Soviet Union, in: Contemporary European History 18 (2009), No. 1, S. 45–65. Zu Alleweldts damals noch unveröffentlichter Magisterarbeit vgl. die Fußnoten 7 (zum Forschungsstand), 13 (zur Übersiedlung ins Deutsche Reich) und 19 (zum Eintritt in die NSDAP).

Empfohlene Zitierweise

Krämer, Matthias: Rezension Bertold Alleweldt: Herbert Backe. Eine politische Biographie, Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin 2011. 20,00 €. ISBN 978-3-86573-642-0.. aventinus recensio Nr. 32 [31.07.2012], in: aventinus, URL: https://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/9667/

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Erstellt: 01.08.2012

Zuletzt geändert: 02.08.2012

ISSN 2194-2137

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