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aventinus nova Nr. 47 [12.04.2014] / whitemasks.blogsport.de [09.01.2014]

Andreas Greiner

›Schwarze‹ Haut als biblischer Fluch?


Hautfarbe als Differenzkriterium frühneuzeitlicher Klassifizierungssysteme

Seit dem frühen Mittelalter führten Kirchengelehrte die Bevölkerung der Welt auf die drei Söhne Noahs zurück: Den Japhiten gehörte Europa, den Semiten Asien und den von einem biblischen Fluch zu Sklaven degradierten Chamiten Afrika. Der Grundstein für eine spätere ›Rassenordnung‹ war damit gelegt, wenngleich körperliche Merkmale noch ohne Bedeutung waren: Alle drei Söhne Noahs sind in mittelalterlichen Illustrationen hellhäutig, entsprechend der Bibelstelle. Erst 1666 formulierte der Leidener Geschichtsprofessor Georgius Hornius in seiner Arca Noae erstmals die Idee einer Unterscheidung nach der Hautfarbe und machte die Nachfahren Chams ›schwarz‹. Sklaven sollte man künftig an ihrer ›schwarzen‹ Haut erkennen. Damit legte Hornius den Grundstein für einen nach Körpermerkmalen klassifizierenden Rassismus, wie er in späteren naturwissenschaftlichen Ansätzen von Linné und Blumenbach seine Fortsetzung finden sollte.

Die mittelalterliche Weltordnung

Mit seinem Etymologiarum libri viginti (um 630) führte der Kirchengelehrte Isidor, seit 600 n. Chr. Bischof von Sevilla, die Radkarte oder ›T-O-Karte‹ als Basis des geographisch-christlichen Weltbilds ein. Auf dieser waren die drei Kontinente Asien, Europa und Afrika schematisch im Verhältnis 2:1:1 verzeichnet, welche durch ein ›T‹ mit dem Mittelmeer als Schaft sowie Don und Nil als Querbalken voneinander abgetrennt wurden. Spätere Drucke des Etymologiarum führten die Bewohner der drei Kontinente auf die Nachfahren der Söhne Noahs, wie sie in der Völkertafel des Alten Testaments (1. Mose, 10) verzeichnet waren, zurück: Die Nachfahren Japhets bevölkerten Europa, die Sems Asien und die des verfluchten Cham Afrika. [1]

Im Hochmittelalter war es Honorius Augustodunensis († ca. 1151), der Isidors Weltbild entscheidend erweiterte, indem er die sozial verankerte Dreiteilung der Gesellschaft in Sklaven, Freie und Krieger sicherlich im Sinne Isidors, der ein entschiedener Verfechter der Sklaverei war [2] mit den drei bekannten Völkergruppen verband: Die Asiaten wurden so zu Freien, die Europäer zu Kriegern und die Afrikaner zu Sklaven. Damit war bereits der erste Grundstein einer ›rassisch‹ begründeten Hierarchie zwischen den drei Groß-Gruppen gelegt.

›Schwarz, ›Weiß, ›Gelb Hautfarbe als Distinktionsmerkmal

1666 sollte diese noch vertieft werden: Unter dem trefflichen Titel Arca Noae legte Georgius Hornius (1620–1670) eine Generationenfolge von der Zeit »ante diluviana« (vor der Sintflut) bis in seine damalige Gegenwart vor, wobei er seinen Fokus auf die Zeit »postdiluviana […] vel antiqua vel recentior« [3] (Zeit nach der Sintflut […] sowohl antik als auch gegenwärtig) legte.

Wie auch Isidor berief sich Hornius auf die biblische Generationenfolge und ging davon aus, dass »Post diluvium insignis illa divisio Orbis in tres partes pro numero filiorum Noachi, unde etiam titulum operis Arcam noae fecimus« [4] (Nach der Sintflut ist diese Teilung des Erdkreises in drei Teile entsprechend der Anzahl der Söhne Noahs gekennzeichnet, weshalb wir diesem Werk auch den Titel Arca Noae gegeben haben). Und ähnlich wie der Kirchengelehrte ordnete auch Hornius »Chamo Arabia & Africa, Semo Asia intra Taurum ab Euphrate ad Indiam, Iapheto caetera in ditionem« [5] (Dem Cham Arabien & Afrika, dem Sem Asien beschränkt auf das Taurusgebirge vom Euphrat bis Indien, dem Japhet die Herrschaft über den Rest) zu. Doch mit Arca Noae sollte Hornius noch einen Schritt weiter gehen als seine Vorgänger.

Denn obwohl Cham seit Isidor von Sevilla mit Afrika fest verknüpft war, unterschied er sich in den mittelalterlichen Bibelillustrationen in seiner ›Rasse nicht von seinen Brüdern er war genauso ›weiß‹ wie diese. [6] Dies entsprach dem Bibeltext, der keine ›rassischen‹ Unterschiede zwischen Noah und seinen Söhne nennt. Hornius aber präzisierte das ursprüngliche Gebiet Chams und seiner Söhne auf die Subsahara-Regionen mit dem Kernland Äthiopien [7] und schlug gleichzeitig einen zweiten Typ der Unterteilung vor; nicht nach Regionen, sondern nach Hautfarben: »Alias pro colorum diversitate comode quoque distinxeris posteros Noachi in albos, qui sunt Scythae & Japhetiae, nigros, qui sunt Aethiopes & Chamaei, flavos, qui sunt Indi & Semaei« [8] (Man kann die Nachkommen Noahs ebenso nach der unterschiedlichen Farbe unterscheiden in Weiße, welche Skythen & Japhiten sind, Schwarze, welche Äthiopier & Chamiten sind, Gelbe, welche Inder & Semiten sind). Damit bekräftigte Hornius als Erster ›rassische‹ Unterschiede zwischen den drei Brüdern erstmals war Cham ›schwarz‹. Nebenbei bezeichnete er vermutlich ebenfalls als Erster die Asiaten als ›gelb‹.

Mit dieser Unterscheidung aber hatte Hornius das Fundament für eine religiöse Begründung der Sklaverei gelegt: Laut  1. Mose, 9 verfluchte Noah die Nachfahren Chams, nachdem dieser ihn betrunken und entblößt in seinem Zelt aufgefunden bzw. je nach Lesart vergewaltigt und kastriert hat. Noahs Fluch degradiert Chams Sohn Kanaan zu einem »Knecht der Knechte« (1. Mose 9, 25). Zwar hatte schon Honorius auf diese eindeutige biblische Legitimation der Sklaverei hingewiesen und diese mit dem afrikanischen Kontinent verknüpft, jedoch stellten ›schwarze‹ Afrikaner weder in der Antike noch im Mittelalter ein besonders großes Kontingent an Sklaven. Erst Horniusrassische‹ Neuinterpretation der Bibelstelle und seine Rückverfolgung der afrikanischen Länder bis auf Cham sollten die entscheidende Verbindung zwischen ›schwarzen‹ Afrikanern und der Sklaverei herstellen. [9]

Hornius‘ Interpretation des ›schwarzen‹ Cham sollte sich fortan fest in das Bibelverständnis einschreiben. So vertrat etwa der Augustinermönch Augustin Calmet wenige Jahrzehnte später in seinem Dictionnaire historique et critique, chronologique, géographique et littéral de la Bible (1722–1728) die Idee, der Name Cham bedeute ursprünglich »verbrannt, dunkelhäutig, schwarz« [10]. Später übernahmen dann Verfechter der amerikanischen Sklaverei die ›rassische‹ Lesart aus 1. Mose und machten sie zu einem ihrer wichtigsten Argumente. [11]

Wem gehört die Welt?

Zwar wusste Hornius, dass »Communis opinio est maximum natu filiorum Noachi Iaphetum fuisse, […] minimum Cham, […] ita Semo medius relinqueretur locus« (Die öffentliche Meinung ist, dass der Erstgeborene Sohn Noahs Japhet war, […] der jüngste Cham, […] daher verbleibt für Sem der mittlere Platz), er ging aber davon aus, dass Cham der Erstgeborene der drei Brüder sei. Diese Einschätzung verwundert, ist doch der Tradition entsprechend der Erstgeborene der potentielle Nachfolger des Vaters. In Abgrenzung dazu verwies Hornius auf die übrigen in der Bibel anzutreffenden Geschwister-Konstellationen, bei denen immer der Zweitgeborene der von Gott gesegnete sei, so etwa bei Kain und Abel. [12] Dementsprechend ordnete er Cham als den Verschmähten (»maledictus«) der drei, Japhet aber als Zweitgeborenen ein. [13]

Mit dieser göttlichen Segnung erklärte Hornius Japhet zum Herrscher über den Erdkreis, dem alle Völker gehorchten und dessen Familie also die Europäer selbst heute noch die ganze Erde beherrschten. Damit griff er die aus der Bibel tradierte Rangordnung auf: Die Nachfolger Chams sollten Diener sein, die des Japhet aber bekamen das Recht, in den Zelten Sems zu wohnen, standen also letztlich auch über diesen. [14] Die in der Welt längst durchgesetzte Vorherrschaft Europas fand damit ihre göttliche Rechtfertigung.

Durchges. Zweitpubl. v. [Ders.]: Im Anfang war die Bibel, in: White Masks. Postkoloniale Texte und Fragmente [09.01.2014], http://whitemasks.blogsport.de/2014/01/09/im-anfang-war-die-bibel

Anmerkungen

  • [1]

     Vgl. Melville, Gert; Staub, Martial (Hrsg.): Enzyklopädie des Mittelalters (Bd. 1), Darmstadt 2008, S. 392.

  • [2]

     Vgl. Diesner, Hans-Joachim: Isidor von Sevilla und seine Zeit, Stuttgart 1973, S. 63.

  • [3]

     Hornius, Georgius: Arca Noae. Sive historia imperiorum et regnorum à condito orbe ad nostra tempora, Leiden 1666, S. 28.

  • [4]

     Ebd., S. 3.

  • [5]

     Ebd., S. 35.

  • [6]

     Vgl. Braude, Benjamin: The Sons of Noah and the Construction of Ethnic and Geographical Identities in the Medieval and Early Modern Periods, in: The William and Mary Quarterly, Third Series, Jg. 54, 1/1997, S. 121.

  • [7]

     Vgl. Hornius, Arca Noae, S. 37.

  • [8]

     Ebd., S. 37.

  • [9]

     Vgl. Blackburn, Robin: The Old World Background to European Colonial Slavery, in: The William and Mary Quarterly, Third Series, Jg. 54, 1/1997, S. 90.

  • [10]

     Zit. nach: Haynes, Stephen R.: Noah's curse. The biblical justification of American slavery, New York 2007, S. 38.

  • [11]

     Vgl. ebd., S. 12.

  • [12]

     Vgl. Hornius, Arca Noae, S. 36-37.

  • [13]

     Vgl. ebd., S. 112.

  • [14]

     Vgl. ebd.

Empfohlene Zitierweise

Greiner, Andreas: ›Schwarze‹ Haut als biblischer Fluch?. aventinus nova Nr. 47 [12.04.2014], in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/9849/

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Erstellt: 10.04.2014

Zuletzt geändert: 11.04.2014

ISSN 2194-1963