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aventinus archivalia Nr. 9 [06.12.2010] / aventinus recensio Nr. 6 (Winter 2006) 

Zarka, Attila  

Diekmann, Heiko: Lockruf der Neuen Welt. Deutschsprachige Werbeschriften für die Auswanderung nach Nordamerika von 1680 bis 1760, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 2005, 284 Seiten, 23,00 Euro, ISBN 3-938616-21-0  


Heiko Diekmann studierte zuerst Allgemeinen Dokumentation an der Fachhochschule Hannover. Danach nahm er sein Studium der Mittleren und Neueren Geschichte, der Politischen Wissenschaften und der Allgemeinen Religionsgeschichte an der Georg-August-Universität Göttingen auf, wo er die hier vorgestellte Dissertationsschrift verfasst hat. Die Dissertation "Lockruf der Neuen Welt" wurde vom Universitätsverlag Göttingen mit einem für diesen Verlag typisch dezentem, aber sachlichem Paperback Cover ausgestattet. Auf der Vorderseite sieht man eine Vignette, die eine Beschreibung der Provinz Pennsylvanien enthält.

Die Arbeit ist in 18 Kapitel aufgeteilt. Dabei werden 15 verschiedene Werbeschriften vorgestellt, die im 17. Kapitel zusammenfassend bewertet werden. Die einzelnen Abschnitte ordnen zuerst das Werk und/oder den Verfasser historisch ein. Dann wird die Argumentationskette der vorgestellten Schrift abgehandelt, bevor die Wirkung dieser ausgearbeitet wird. Sofern der Kapitel einen Fazit zulässt, fasst der Autor die wichtigsten Ergebnisse zusammen. 

Die Auswanderung deutschsprachiger Emigranten nach Nordamerika kann in mehrere Phasen eingeteilt werden. Der Autor möchte die frühe Auswanderungs-phase, die in der Wissenschaft bisher keinen großen Anklang gefunden hat, näher untersuchen. Die schriftlichen Zeugnisse, die er dazu verwendet, sind sehr ver-schieden: Zum einen findet man Briefe von Privatpersonen, wie aber auch staatlich in Auftrag gegebene Druckerzeugnisse. Sowohl die Qualität, als auch die Quantität der Quellen variiert. Die Auswertung dieser Quellen kann wohl als eine Pionierleistung angesehen werden. 

Es ist nicht einfach, die Relevanz eines Spezialgebietes der Europäischen Neuzeit, nämlich die frühe Emigration nach Amerika, richtig festzulegen. Für die Wissenschaft kann der Wert sehr hoch sein, für den Großteil der Studenten, die mit der Thematik im günstigsten Fall ein Semester in Berührung kommen, besteht der Vorteil vor allem in der Zusammenstellung von Quellen. Diese Erfahrung wird aber jeder Student selber machen, wenn es darum geht, sich für ein Thema in der Magisterarbeit oder Dissertation zu entscheiden. Wählt man den bequemen Weg und forscht man zum x-Mal über ein beliebtes Thema, oder wagt man den Schritt ein Randgebiet der Forschung aufzurollen. 

Wie bereits erwähnt wurde, ist es erfreulich, dass der Autor sich mit einem ungewöhnlichen Thema auseinandergesetzt hat, vor allem, da sich der Großteil der Forschung erst mit der Emigration des 19. Jahrhunderts beschäftigt, womit der Hochphase des Exodus aus Deutschland entsprochen wird. Die Konzentration auf das späte 17. und 18. Jahrhundert erweitert somit den Längsschnitt spezieller sozial- historischer Forschung.

Leider sind einige Schwachpunkte auszumachen. So fallen schon auf den ersten Blick große Mängel bei der Formatierung des Textes auf: Fortlaufende Listenpunkte werden mal als "Nummerierung", mal als "Aufzählungszeichen" ausgegeben. Überschriften der gleichen Ebene haben an einigen Stellen unterschiedliche Formatierungen und sind somit oft schwer zu erkennen. Absätze werden nicht regelmäßig eingehalten. Der Lesefluss wird dadurch erheblich beeinträchtigt. Zudem fällt auch deutliche Nachlässigkeit in der Zeichensetzung und Rechtschreibung auf. Diese Tatsachen haben vielleicht keinen wissenschaftlichen Wert, aber wirken in dieser Häufung sehr unglücklich. 

Darüber hinaus bleibt die sprachliche Ausführung dieser Dissertation hinter den Erwartungen zurück. Der fast durchgehend verwendete Konjunktiv erweckt den Eindruck von Unsicherheit, zudem fragt man sich: was ist den nun erforscht und was bleibt hypothetisch…? Dieser Teilaspekt führt zum zentralen Problem dieser Arbeit: Es wird nicht deutlich genug herausgestellt, worin die Forschungsleistung besteht und zu welchen Ergebnissen der Autor eigentlich gekommen ist. Nach Lektüre des fahrigen Schlusswortes stellt sich die Frage, welchen Mehrwert die Untersuchung der "Pamphlete" für die Gesamterkenntnis hatte. (Beispiel S. 249: Die Werbepamphlete "sorgten dafür, dass die [Menschen], welche sich zur Emigration entschlossen hatten, nicht die (als Alternative bereitstehenden) europäischen Emigrationsziele (Ungarn, Pommern) aufsuchten, sondern sich für eine neue Heimat jenseits des Atlantiks in Nordamerika entschieden.") Insgesamt besehen, wäre zur Unterstützung der Thesen ein Abdruck der Quellen im Anhang sinnvoll gewesen, vielleicht wäre dann auch weniger mehr. 

Dieser Dissertation fehlt ein entscheidendes Maß an Struktur und Methode, so hätte man vielen Unklarheiten durch einleitende Begriffsklärungen (was genau sind jetzt eigentlich Pamphlete in diesem Zusammenhang?) und deutliche thematische Eingrenzungen vorgreifen können. Eine ausführlichere Darstellung der Rahmenbedingungen, wie der "Push-" und "Pullfaktor", wäre wünschenswert gewesen, unbedingt aber hätte eine Problematisierung des Gesamtumfeldes stattfinden müssen, schon allein, um die Brisanz des Themas darzustellen. Die große Zahl der Werbemittel darf nicht über die Gefahren der Überfahrt und die Reichweite der Entscheidung auszuwandern hinwegtäuschen, um nur einen Aspekt zu nennen. Hingegen ergeht sich der Autor gelegentlich in Allgemeinplätzen, wie z.B. (S.5): "Die einfache Landbevölkerung im 18. Jahrhundert besaß ein ganz anderes Geschichtsbewusstsein als der Mensch des 21. Jahrhunderts." Verallgemeinerungen wie "die Indianer", "die Obrigkeit" oder "Macht" grenzen an Unwissenschaftlichkeit. In diese Richtung weisen auch psychologische Analysen, wie die des Publizisten Franz Pastorius (S. 37f): "Er war schon als Kind sehr sensibel (…)." Und weiter: "Er war eine seltsame Persönlichkeit." 

Unser Gesamturteil: Für Studenten, die sich mit der Thematik befassen, bietet Heiko Diekmanns "Lockruf der Neuen Welt" trotz aller Kritik einen ersten Einstieg, der vor allem wegen der Quellenzusammenstellung hilfreich ist. 

Empfohlene Zitierweise

Zarka, Attila: Diekmann, Heiko: Lockruf der Neuen Welt. Deutschsprachige Werbeschriften für die Auswanderung nach Nordamerika von 1680 bis 1760, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 2005, 284 Seiten, 23,00 Euro, ISBN 3-938616-21-0. aventinus archivalia Nr. 9 [06.12.2010] / aventinus recensio Nr. 6 (Winter 2006), in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/8342/

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Erstellt: 05.12.2010

Zuletzt geändert: 05.12.2010