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aventinus archivalia Nr. 7 [08.10.2010] / aventinus mediaevalia Nr. 5 (Winter 2007) 

 

Alexandra Thun 

Romeo und Julia im Heiligen Römischen Reich 

Der Konflikt zwischen Staufern und Welfen am Ende des 12. Jahrhunderts 

Zwei Herrscherhäuser, beide verwandt und doch tödlich zerstritten durch den Kampf um die Macht im Heiligen Römischen Reich des hohen Mittelalters. Unversöhnliche Rivalität, wie es scheint, trennt die einst verbundenen Männer, die ihr Geschlecht dominieren: Es sind Friedrich Barbarossa, der Staufer, und Heinrich der Löwe, der Welfe. Doch in diesem Stück spielen sie nur die Nebenrolle, denn unter ihren Söhnen, beide mit dem Namen Heinrich, sollte es zu einer – wenn auch nur kurzen – Phase der Versöhnung beider Häuser kommen, begonnen durch eine heimliche Heirat. 

Bereits zu Beginn des 12. Jahrhunderts trennte der Kampf um die Kaiserkrone die beiden Häuser der Staufer und Welfen. Nach dem Tod Lothar III. aus dem Hause Supplinburg im Jahre 1138 sollte der welfische Schwiegersohn Heinrich der Stolze auf den Thron folgen. Doch stattdessen setzte sich der Staufer Konrad III. mit einem „Staatsstreich“ durch, wie Odilo Engels es formuliert [1], und ließ sich von einer Minderheit der Fürsten zum König erklären. Nach dieser geglückten Thronübernahme entzog Konrad III. nun dem Welfen sowohl das Herzogtum Sachsen, als auch das Herzogtum Bayern – der Beginn steter Kämpfe um diese beiden Gebiete. Bereits Heinrich der Stolze konnte Sachsen wieder zurückerlangen, die Kämpfe um Bayern führten Heinrichs Bruder Welf VI., und sein Sohn, Heinrich der Löwe, fort. 1150 unterlag Welf VI. schließlich und eine Figur von großer Bedeutung trat hier erstmals ins Licht: der Neffe sowohl Welfs VI. als auch Konrads III.: der spätere Kaiser Friedrich I. Barbarossa. Zwei Jahre nach dessen Wahl zum König, in den Jahren 1154/56, ging Bayern, in einer territorial beschnitten Form, wieder an das Haus der Welfen. Über zwanzig Jahre lang verband Friedrich Barbarossa – seit 1155 römisch-deutscher Kaiser – und Heinrich den Löwen ein gutes, vertrauensvolles Verhältnis, wie Bernd Schneidmüller in seiner Welfen-Monographie feststellt [2], ehe es 1176 zum Bruch kam: Heinrich der Löwe verweigerte Friedrich Barbarossa seine Unterstützung beim Italienfeldzug, trotz flehentlicher Bitten und wohl sogar einem Fußfall des Kaisers. Es folgten Prozesse und schließlich die Reichsacht, der Entzug sämtlicher Lehen 1180 und das Exil Heinrichs des Löwen bei seinem englischen Schwiegervater, König Henry II. Doch auf dessen Betreiben hin wurde Heinrich dem Löwen 1185 die Rückkehr nach Braunschweig gestattet, wo er sich die nächsten Jahre über ruhig verhielt.

Dies änderte sich im Jahre 1189, als sich der Kaiser und mit ihm viele mächtige Fürsten auf dem Kreuzzug ins Heilige Land befanden. Hier trat nun eine neue Generation der Staufer und der Welfen auf: Friedrich Barbarossas Sohn, König Heinrich (VI.) und Heinrichs des Löwen Sohn, Heinrich von Braunschweig. Die anfänglich erfolgreichen Versuche Heinrichs des Löwen, Sachsen wiederzugewinnen, endeten jäh mit dem Eingreifen des späteren Heinrichs VI., auch wenn dieser das vom Sohn Heinrichs des Löwen verteidigte Braunschweig nicht einnehmen konnte. Wenige Zeit später, im Juni 1190, verstarb Kaiser Friedrich Barbarossa und es kam zum Frieden von Fulda zwischen den Rivalen. Doch dieser Friede barg bereits den nächsten Konflikt in sich, denn er bestimmte unter anderem, dass Heinrich von Braunschweig Heinrich VI. auf dessen Italienzug begleiten sollte. Ende Oktober brach Heinrich VI. auf, zunächst nach Rom, wo er zum Kaiser gekrönt wurde, danach bis vor die Tore Neapels. Hier kam der Vormarsch zum Stehen, denn die von Tankred [3] besetzte Stadt konnte nicht eingenommen werden. Zudem befiel eine Seuche die Armee des Kaisers, vermutlich Malaria – bis zum Abbruch der Belagerung drei Monate später waren die Truppen auf ein Zehntel ihrer ursprünglichen Größe geschrumpft. Bereits einige Wochen vor dem Abbruch war Heinrich von Braunschweig vom Heer abgefallen und ins Deutsche Reich zurückgekehrt. Er stand seit Mai 1192 unter Acht, während Heinrich der Löwe in immerwährende Kämpfe um Sachsen verstrickt war. 1193 standen sich die beiden eng verwandten Geschlechter somit scheinbar unversöhnlich einander gegenüber, auf der einen Seite Heinrich VI., auf der anderen Heinrich der Löwe und sein Sohn Heinrich von Braunschweig.

Doch zwei Frauen aus dem Hause der Staufer griffen nun entscheidend in die Geschichte ein: Frau und Tochter Konrads, des Pfalzgrafen bei Rhein, Tante und Cousine des Kaisers. Bereits im Kindesalter, als sich Barbarossa und Heinrich der Löwe noch tief verbunden sahen, hatten Irmingard, die Frau des Pfalzgrafen, und Mathilde, Frau Heinrichs des Löwen, ihre Kinder Agnes von Staufen und Heinrich von Braunschweig miteinander verlobt. Doch das Zerwürfnis der beiden Männer hatte diese Verbindung in Vergessenheit geraten lassen und Heinrich VI. plante 1193 sogar eine politische Heirat seiner Cousine mit dem französischen König Philipp II. August. Um die Jahreswende 1193/94 ergriff nun Irmingard die Initiative und ohne das Wissen der großen zerstrittenen Männer arrangierte sie eine heimliche Hochzeit auf Burg Stahleck. [4] Ob es sich tatsächlich um eine Liebesheirat handelte, wie es viele romantisch-literarische Aufarbeitungen des 19. Jahrhunderts sehen, ist wohl nicht zu klären. [5] Die unmittelbare Folge war jedoch der Ärger des Pfalzgrafen, des Kaisers und Heinrichs des Löwen. Der Pfalzgraf jedoch fand sich letztlich mit der vor Gott nun unlösbar eingegangenen Verbindung ab und arrangierte so ein Treffen Heinrichs des Löwen mit Heinrich VI. in Tilleda im März 1194, bei dem es zu einem endgültigen Friedensschluss der beiden Parteien kam. Als der Welfe im April wieder in Braunschweig angekommen war, hatte Heinrich VI. ihn und seinen Sohn wieder in Gnaden aufgenommen, Heinrich dem Löwen das Eigengut bestätigt und Heinrich von Braunschweig mit der Pfalzgrafschaft bei Rhein belehnt. Nach dem Tod Heinrichs des Löwen am 06. August 1195 gelang Heinrich von Braunschweig eine problemlose Übernahme der sächsischen Hausgüter. Er begleitete darüber hinaus Heinrich VI. auf einen erneuten Italienfeldzug und kehrte dieses Mal erst wieder, als der Kaiser es gestattete. Auch am Kreuzzug 1197 beteiligte er sich und brach noch vor dem Kaiser ins Heilige Land auf. In Messina ergriff Heinrich VI. vermutlich dieselbe Seuche, der er bereits vor den Toren Neapels begegnet war: am 28. September 1197 verstarb Kaiser Heinrich VI. an Malaria.

Am nun ausbrechenden Thronstreit zwischen Welfen und Staufern war keiner der Protagonisten aus der Zeit Heinrichs VI. beteiligt, denn sie alle waren verstorben und Heinrich von Braunschweig sollte erst 1199 vom Kreuzzug zurückkehren. Nachdem der rechtmäßige Nachfolger, Friedrich (II.), noch im Kindesalter war und sich zudem in Italien befand, wurde sein Onkel Philipp von Schwaben im März 1198 zum König gewählt. Doch die fürstlichen Gegner Philipps wollten die Wahl eines Gegenkönigs, und so holte man Otto (IV.) von seinem Aufenthalt am Hofe der englischen Verwandten zurück. Es folgten Jahre der Auseinandersetzungen, in die neben den deutschen Fürsten auch England, Frankreich, und sogar der Papst verstrickt waren und selbst vor einem Mord an Philipp von Schwaben schreckte man nicht zurück. Letztlich unterlag Otto IV. dem aus Italien gekommenen Friedrich II., der 1212 zum König gewählt wurde. Erst 1235 kam es zu einem letzten, nun tatsächlich anhaltenden Friedensschluss, als der staufische Kaiser Friedrich II. ein neues Reichsfürstentum schuf und Otto das Kind, der Neffe Heinrichs von Braunschweig, somit der erste Herzog von Braunschweig-Lüneburg wurde.

War die Zeit Heinrichs von Braunschweigs und Agnes’ von Staufen nun also nichts weiter als eine unbedeutende Periode, eine kleine Pause im Kampf der verfeindeten Geschlechter? 

Die großen Probleme zwischen Staufern und Welfen waren der Streit um den Thron gewesen – bei Heinrich dem Stolzen ebenso wie bei Otto IV. Daneben spielte der Kampf um die Herzogswürde eine bedeutende Rolle. Die endgültige Aussöhnung 1235 bezog sich nur mehr auf letzteres, ein Anspruch auf den Thron wurde nicht mehr erhoben. 1194 waren diese Voraussetzungen ebenso gegeben wie 1235: keine der entscheidenden Figuren aus dem Hause der Welfen vertrat einen Anspruch auf die Kaiserwürde. Das Herzogtum Bayern befand sich bereits im Besitz der Wittelsbacher und es wurde zu keinem Zeitpunkt mehr versucht, das Gebiet erneut in welfischen Besitz zu bringen. Auch der Kampf um Sachsen war letztlich eingestellt worden, stattdessen wurde Heinrich von Braunschweig mit der überaus bedeutenden Pfalzgrafschaft bei Rhein belehnt. 

Dass dennoch nach dem Tod Heinrichs VI. der Konflikt zwischen Staufern und Welfen erneut ausbrach, lag primär an den deutschen Fürsten, die den jungen Otto aus England holten und ihm die Gegenwahl anboten. Mit dieser Komponente hatte keine der beiden Seiten – weder Staufer noch Welfen – kalkulieren können, doch sie war es, die den aussichtsreichen Frieden der beiden Geschlechter von 1194 nur wenige Jahre später für eine letzte große Periode aufhob. 

Wie bei Shakespeares Romeo und Julia, so hatten die Protagonisten alles in ihrer Macht liegende getan, um eine Aussöhnung zu erreichen – und waren doch an den Rivalitäten, Intrigen und Machtbestrebungen ihres Umfeldes gescheitert. 

Quellen und Literatur: 

 

Peter Csendes: Heinrich VI. Darmstadt 1993. 

Engels, Odilo: Die Staufer. 8., überarb. Aufl., Stuttgart [u.a.] 2005. 

Heyden, Friedrich von: Das Wort der Frau. Eine Festgabe. 2., rev. Aufl., Leipzig 1849. 

Nicolai, Käthe: Genealogie und Charakteristik der Staufer bis zur Zeit Kaiser Heinrichs VI. Jena 1921. 

Schneidmüller, Bernd: Die Welfen. Herrschaft und Erinnerung (819-1252). Stuttgart [u.a.] 2000. 

Spontini, Gaspare: Agnes von Hohenstaufen. Große historisch-romantische Oper. Hrsg. von Jens Wildgruber. München 2001. 

Anmerkungen

  • [1]

     Odilo Engels: Die Staufer. 8., überarb. Aufl., Stuttgart [u.a.] 2005, S. 33.

  • [2]

     Zu den Beziehungen zwischen Staufern und Welfen siehe beispielsweise Bernd Schneidmüller: Die Welfen. Herrschaft und Erinnerung (819-1252). Stuttgart [u.a.] 2000, zu den Stammtafeln v.a. S. 12f.

  • [3]

     Hier handelte es sich um die Durchsetzung der Erbansprüche von Heinrichs VI. Frau Konstanze. Diese war von ihrem Neffen, König Wilhelm II. von Sizilien, zur Nachfolgerin auf den Königsthron bestimmt worden. Tankred, Graf von Lecce, ein unehelicher Sohn von Konstanzes Bruder Herzog Roger III., besetzte jedoch die Stadt Neapel, um das Erbe für sich zu beanspruchen.

  • [4]

     Ob Irmingard tatsächlich aus Angst heraus handelte, ihre Tochter könnte mit dem französischen König unglücklich werden, ist unklar. Diese These vertritt Käthe Nicolai. Siehe hierzu Käthe Nicolai: Genealogie und Charakteristik der Staufer bis zur Zeit Kaiser Heinrichs VI. Jena 1921, S. 115f. Die herausragende Rolle Irmingards ist hingegen unbestritten. So hebt sie etwa auch Peter Csendes in seiner Monographie über Heinrich VI. hervor. Siehe hierzu: Peter Csendes: Heinrich VI. Darmstadt 1993, S. 142.

  • [5]

     Als Beispiele für diese romantische Bearbeitung des Stoffes seien hier genannt: Friedrich von Heyden: Das Wort der Frau. Eine Festgabe. 2., rev. Aufl., Leipzig 1849, sowie Gaspare Spontini: Agnes von Hohenstaufen. Große historisch-romantische Oper. Hrsg. von Jens Wildgruber. München 2001.

Empfohlene Zitierweise

Thun, Alexa: Romeo und Julia im Heiligen Römischen Reich. Der Konflikt zwischen Staufern und Welfen am Ende des 12. Jahrhunderts. aventinus archivalia Nr. 7 [08.10.2010] / aventinus mediaevalia Nr. 5 (Winter 2007), in: aventinus, URL: http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/7680/

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Erstellt: 18.05.2010

Zuletzt geändert: 08.10.2010